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AutorenbildSiggi

Stigmatisierung betrifft uns alle

Hey Du wunderbarer Mensch,

wir haben in unserer Gesellschaft eine Art Hierarchie von Erkrankungen. Hierarchie insofern, als wir bei manchen Krankheiten schnell mal eine Vorurteilskiste öffnen. Und zwar die, auf der das Schild klebt: selbst schuld.


Wer körperlich erkrankt, zum Beispiel an einem Bandscheibenvorfall oder an Krebs, erhält Mitgefühl. Bei psychischen Störungen wie Angsterkrankungen, ADHS oder Depressionen ist das schon nicht mehr ganz so. Da hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten viel gebessert, aber da stigmatisiert unsere Gesellschaft schon auch noch ordentlich. Aber das ist alles nichts im Vergleich zu Suchterkrankungen. Wer alkoholabhängig oder kokainabhängig oder pornosüchtig ist, dem begegnet in der Regel leider noch immer kein Mitgefühl, sondern Ausgrenzung. Das Fachwort dafür lautet Stigmatisierung. Das Problem an ihr: Für Betroffene schafft sie eine zusätzliche Leidensebene. Sie sind nicht nur krank, sie erfahren deshalb auch noch Diskriminierung, erleiden also zusätzlichen Schmerz. Und aus Angst davor verstecken sie ihre Erkrankung so lange wie möglich – was dazu führt, dass sie weiter voranschreitet und Hilfe oft erst nach vielen Jahren, manchmal sogar erst nach Jahrzehnten in Anspruch genommen wird.


In meiner aktuellen Podcastfolge spreche ich mit einer betroffenen Ärztin darüber, wie sich dieses Stigma in unserem Gesundheitssystem bemerkbar macht – und zwar gleich doppelt. Im Podcast erzählt Hanna:

"Ich drücke das jetzt mal krass aus: Wenn ein Patient vorstellig wird, der eine schwere Leberzirrhose hat und in seiner Diagnoseliste steht chronischer Alkoholkonsum, dann ist er per se schon 'der Alkoholiker in Zimmer acht'. Dieses negative Stigma, dass er im Prinzip auch selbst schuld ist, weil er nicht aufgehört hat mit dem Trinken, schwingt dann oft so ein bißchen mit. Das kann dazu führen, dass dieser Patient unter Umständen anders behandelt wird, zum Beispiel nicht ganz so respektvoll, wie es sein sollte. Im Extremfall kann es auch dazu führen, dass bestimmte medizinische Entscheidungen anders getroffen oder Patienten anders priorisiert werden.


Anders herum ist dieses Stigma auch gefährlich für das Personal im Gesundheitssystem. Wenn man selbst an einem Suchtproblem leidet, läuft man Gefahr, seinen Beruf, sein Ansehen und unter Umständen seine Patienten zu gefährden. Und weil dieses Tabuthema so im Raum steht, glaube ich, dass viele im Gesundheitssystem ihr eigenes Problem gar nicht so richtig erkennen oder für sich selbst relativieren – denn sie sind ja eben noch nicht die 'Leberzirrhose in Zimmer acht'."

Stigmatisierung schadet aber nicht nur an Sucht erkrankten Menschen, sie betrifft uns alle. Ein Beispiel, das das illustriert: Auf einer Kooperationstagung der Bundesärztekammer und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen erzählte eine Ärztin vom Ehemann einer ihrer Freundinnen. Der sackte nach einem Volksfest wegen einer Hirnblutung an einer Bushaltestelle bewusstlos in sich zusammen. Niemand half, weil die meisten Passanten automatisch dachten, selbst schuld, der hat halt zu viel getrunken. Erst Stunden später rief jemand den Rettungswagen. Aber die Hilfe kam viel zu spät. Der Mann überlebte noch zwei Wochen auf der Intensivstation, dann starb er.


Wie Hanna es geschafft hat, mit dem Trinken aufzuhören, warum sie den Umgang unseres Gesundheitssystems mit suchtkrankem Personal für hochgradig problematisch hält und wie sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung heute mit Patient:innen umgeht, erzählt sie Dir in meiner neuen Podcastfolge.


...aus Nathalie Stüben's aktuellem Newsletter...

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